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Sinfonie in StahlVon Sonja Vogel„Heil dir im Siegerkranz“ intoniert Blixa Bargeld getragen. „Herrscher des Vaterlands! Heil, Kaiser, dir!“ Es war ein absurder Moment im Moskauer Yotaspace. Rund 500 Zuschauer drängten sich dort am 26. September, um die Einstürzenden Neubauten zu sehen. Immer mehr des zu Schlaginstrumenten umgewidmeten Stahlschrotts wird auf die Bühne geschleppt, während Blixa Bargeld, eine Legende des Berliner Underground, sich zur Musik wiegt. Das komische an ihr: Sie hat die Melodie der britischen Hymne „God save the Queen“. Und so ist gleich am Anfang klar, dass das Programm ironisch sein wird. Das Publikum aber konnte zunächst recht wenig damit anfangen. Niemand hatte mit einem Programm zum Ersten Weltkrieg gerechnet, das die Neubauten im vergangenen Jahr für die Platte „Lament” entwickelt hatten. Das Konzert in Russland war damals aus Krankheitsgründen ausgefallen – und so kehrte der Erste Weltkrieg mit Verspätung nach Moskau zurück. Umso mehr bemühte sich die Band darum, Brücken zum russischen Publikum zu schlagen. Mit der grandiosen Vertonung der Telegramme etwa, die Kaiser Wilhelm und der russische Zar Nikolaus austauschten. Der Ton zwischen den Cousins, die sich „Willy“ und „Nicky“ nennen, ist irritierend zärtlich – und bedenkt man, dass sie kurz vor einem Krieg gegeneinander stehen, vollkommen absurd. Die beiden Imperien standen 1914 schließlich auf unterschiedlichen Bündnisseiten. Und während die Kaiser rhetorische Kapriolen zur Verhinderung des Krieges schlagen, lassen sie bereits ihre Truppen zusammen ziehen. Auf der Bühne ist die Rezitation ein ratterndes Ungetüm, das langsam Fahrt aufnimmt. Genauso wie die Telegramme erst mit dem Wissen um die Geschichte ihre Sprengkraft entfalten. Bargeld und Alexander Hacke sprechen die Briefe im englischen Original, verzerrt, blechern. Ein Schmierenstück der politischen Verschlagenheit, inszeniert als Duett. „Ich wünschte, ich hätte dieselbe Garantie von dir, wie ich sie dir darüber gab, dass die Maßnahmen nicht Krieg bedeuten.” (Nicky) – „Ich habe dir dargelegt, wie ein Krieg zu vermeiden ist.” (Willy) – „Wir sollten weiter verhandeln.” (Nicky) – „Ich bat um eine Antwort, aber kein Telegramm hat mich erreicht.” (Willy) – „Unsere lange Freundschaft muss das Blutvergießen verhindert können.” (Nicky) – „… Ich muss deswegen die Armee mobilisieren.” (Willy) Dann löst sich die Performance im Getöse von aus dem Takt geratenem Stahl, der Kakophonie des Weltkrieges auf. Erstaunlich, wie sich dieser Krach mit den Zeitzeugenberichten deckt, wie er in Musik übersetzt werden kann: archaisch, brutal, mitreißend. Die Neubauten als Proto-Industrialband haben diesen Sound geprägt und sind auch nach 30 Jahren in ihrem Element. Für die Percussion-Version des Krieges, in der jeder Schlag für einen Tag steht, hat die Gruppe penibel den Frontverlauf in Beats übersetzt. Nach einer guten Stunde weichen die Neubauten vom Konzept ab und erlösen das Publikum. Bei Klassikern wie „Let’s Do It A Dada“ taut es auf. Und als Bargeld für „Sag mir wo die Blumen sind“ gewohnt extravagant in weißen Federn auftritt, ist das Publikum mit der Performance versöhnt. Der Erste Weltkrieg indes war vergessen.
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